OEG | Neuregelung: Soziales Entschädigungsrecht SGB XIV

Das neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) löst das Opferentschädigungsgesetz (OEG) in seiner jetzigen Form ab. Das SGB XIV tritt am 01.01.2024 in Kraft.
Zu den Neuerungen gehört beispielsweise, dass schwere psychische Gewalttaten anerkannt werden (z.B. Stalking, Bedrohung mit einer Schusswaffe, Menschenhandel). Der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Tat und Tatfolgen wird erleichtert.

Der WEISSE RING setzt sich für die Rechte von Opfern ein und hat sich bei der Novellierung des Opferentschädigungsrechts seit vielen Jahren engagiert. Ziel war, die guten Leistungen zu erhalten, Verschlechterungen zu verhindern und gleichzeitig notwendige Verbesserungen zu erreichen. Wir haben an diesem Gesetzgebungsverfahren intensiv mitgearbeitet und freuen uns daher umso mehr, dass unsere Kernforderungen – also die Inhalte, die für Betroffene von besonderer Bedeutung sind – bei der Novellierung des Entschädigungsrechts berücksichtigt worden sind.“ (Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender WEISSER RING)

Der WEISSE RING erläutert die Änderungen im neuen SGB XIV in der Ausgabe 8/2022 seines Magazins „Forum Opferhilfe“:
Das neue Entschädigungsrecht – Informationen für Interessierte
– Auszüge aus dem Artikel:

Gesetzliche Regelung der Traumaambulanzen
Für Taten ab 01.01.2021 haben Geschädigte einen Anspruch auf Behandlung in einer Traumaambulanz. Voraussetzung ist, dass sie Opfer einer Gewalttat i. S. d. § 1 OEG geworden sind, also Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs. Noch nicht berechtigt sind damit Opfer schwerer psychischer Gewalt, wie Opfer schweren Stalkings. Sie haben erst mit Inkrafttreten des gesamten SGB XIV 2024 einen Anspruch. […]
Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf bis zu 18 Stunden Behandlung. Für Erwachsene stehen weiterhin bis zu 15 Stunden zur Verfügung.

Ab 01.01.2024 geltendes Entschädigungsrecht
Das Gesetz sieht ein Fallmanagement vor. Opfer sollen im Verfahren begleitet und unterstützt werden. Das Fallmanagement soll insbesondere auch den Hilfebedarf klären.
Schwere psychische Gewalttaten berechtigen zu Leistungen. Hierzu gehören z. B. Menschenhandel und schweres Stalking. (Leistungen sind in diesen Fällen bisher nicht vorgesehen.)
Die sogenannten Schockschäden werden gesetzlich normiert. Entschädigung erhalten dann diejenigen, die eine Tat miterleben oder das Opfer auffinden und hierdurch eine gesundheitliche Schädigung erleiden.
Erleiden sie eine gesundheitliche Schädigung durch die Überbringung der Nachricht vom Tode oder der schwerwiegenden Verletzung des Opfers, erhalten sie dann Entschädigung, wenn zu dem Opfer eine enge emotionale Beziehung besteht.

Ursachenzusammenhang
In vielen Fällen ist der Nachweis problematisch, dass eine vorliegende Erkrankung auf der Straftat beruht. Dies ist beispielsweise immer wieder bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Sexualstraftat der Fall.
Zu diesem Problem hat das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 12.06.2003 (B 9 VG 1/02R) entschieden, dass die allgemeinen medizinischen Erkenntnisse zu beachten sind.
Sagen diese, dass bestimmte Vorgänge, also z. B. eine Sexualstraftat, in „signifikant erhöhtem Maße“ geeignet sind, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen, dann liege die Wahrscheinlichkeit nahe, dass dies auch im konkreten Fall so sei. Das Bundessozialgericht nennt dies dann die „bestärkte Wahrscheinlichkeit“.
Will die Versorgungsverwaltung diese ablehnen, muss sie selbst den Nachweis führen, dass die Erkrankung nicht auf der Tat beruht. Dieses Urteil führt zu einer wesentlichen Erleichterung für Geschädigte
.“

Nachweis der Tat
In vielen Fällen ist es schwierig, die Gewalttat nachzuweisen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn keine Unterlagen über ein Strafverfahren mehr existieren.
Eine Beweiserleichterung für
den Nachweis der Tat enthält heute schon § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung. Danach können die Angaben des Opfers
für einen bestimmten Tathergang der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn Unterlagen nicht vorhanden sind.
Auch diese Beweiserleichterung ist also heute schon geltendes Recht. Die Bestimmung wird in das neue Recht übernommen.

Erhaltenes Recht
Auch zukünftig haben Geschädigte einen umfassenden Anspruch auf Krankenbehandlung. Dieser ist nicht auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt.
Sie erhalten die
„ergänzenden Leistungen der Krankenbehandlung“ (§ 43 SGB XIV). Schwerbeschädigte (GdS mindestens 50) erhalten auch zukünftig Krankenbehandlung für

Nichttatfolgen, wenn sie nicht anderweitig abgesichert sind und die Versagung eine unbillige Härte darstellen würde. […]
Auch zukünftig werden die Fahrtkosten zur Behandlung übernommen.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation) für Geschädigte werden auch zukünftig nach den Grundsätzen der sozialen Entschädigung erbracht, d. h. die Wiedereingliederung orientiert sich an dem Schadensausgleich (§ 63 SGB XIV, Begründung zu § 63 SGB XIV).
Damit können beispiels
weise Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kindheit als Erwachsene die Berufsausbildung aufnehmen, die ihnen wegen der Tatfolgen in der Jugend verwehrt war.“

Körperliche und sexualisierte Gewalt kann massiv schädigende Wirkungen haben. Ebenso verursacht auch einmalige, wiederholte oder über lange Zeiträume ausgeübte psychische Gewalt (Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Einschüchterungen,  Entwertungen, etc.) schwere psychische Traumatisierungen und zwar unabhängig davon, ob gleichzeitig auch körperliche oder sexualisierte Gewalt ausgeübt wird. Wird körperliche und/oder sexualisierte Gewalt von psychischer Gewalt begleitet, können die Folgen der Traumatisierungen vielfach schwerer sein.
Solche umgangssprachlich als „Psychoterror“ bezeichneten Übergriffe können schwerwiegende traumabezogene Störungen mit Ausbildung verschiedener psychischer und psychosomatischer Symptomkomplexe zur Folge haben.

Psychische Gewalt als Ursache für traumabezogene Störungen wurde bei bisherigen OEG-Verfahren nicht anerkannt. Im sozialen Entschädigungsrechts (SGB XIV) wird psychische Gewalt hingegen anerkannt.
Psychische Gewalt hat einen enormen Anteil an der ausgeübten Gewalt in sozialen Nahbereich und damit auch bei der Entstehung von Traumafolgestörungen.
Mit Inkrafttreten des neuen neuen SGB XIV sind insbesondere in Bezug auf erlittene Gewalt in häuslichen Nahbereich wichtige Erleichterungen für die Betroffenen verbunden sein.

Einen Anspruch auf Entschädigung gemäß der bisherigen Fassung des OEG wurde nur anerkannt, wenn die Gewalttat, die gesundheitliche Schädigung und der Zusammenhang zwischen Tat und Schädigung nachweisbar ist.
Der Nachweis von körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch Personen des nahen Umfelds ist juristisch oftmals außerordentlich schwer zu führen. Noch schwieriger ist es, erlebte psychische Gewalt zu beweisen.

Das bisherige OEG setzte für den Nachweis von Tat, Tatfolgen und kausalem Zusammenhang auf Beweisermittlungen, die denen der Justizbehörden ähneln.
Taten mussten möglichst genau dargestellt werden. Dazu gehörten Informationen über den/die TäterInnen (Name, Beziehung zum Opfer), konkrete Beschreibungen von Tathergängen (Handlungen der TäterInnen),  Orten (Adresse, Raum), Zeiten (Daten der Taten) sowie Angaben zu möglichen ZeugInnen.
Diese Angaben wurden auf Plausibilität geprüft. Stimmt beispielweise die Aussage des Opfers mit der der Zeugin überein, dass das Opfer in Monat X des Jahres XXXX in der Wohnung von Herrn X in Ort/Straße gewesen sein könnte und es dort einen Raum gab, der der Beschreibung entspricht. Oder ist es vorstellbar, dass die beschriebene Tat so abgelaufen sein könnte.

Aus traumatherapeutischer Sicht ist ein solches Vorgehen nicht notwendig, denn eine Schädigung infolge von körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt zeigt sich durch die spezifischen Symptome traumabezogener Störungen. Ohne das verursachende Ereignis (ICD-10: außergewöhnliche Bedrohung) wäre die Traumafolgestörung nicht entstanden.
Erfolgt eine fachgerechte Diagnostik traumabezogener Störungen durch erfahrene DiagnostikerInnen, liegt der Kausalzusammenhang zwischen Gewalttat und Tatfolgen bereits in der Diagnose selbst. (vgl. OEG | Das Opferentschädigungsgesetz)

Das neue SGB XIV sieht Beweiserleichterungen bei der Kausalitätsprüfung vor, wenn bei Gewaltopfern eine traumabezogene Störung diagnostiziert wird. Insbesondere Opfern sexualisierter oder psychischer Gewalt wird es dadurch erleichtert, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Wird eine traumabezogene Störung diagnostiziert, soll die Diagnose als „Beweis“ für die Kausalität zwischen Ursache und Folgen gewertet werden.
Will das zuständige Landesamt die Diagnose als Kausalzusammenhang zwischen Tat, Schädigung und Tatfolgen ablehnen, muss die Behörde den Nachweis erbringen, dass die Tat nicht zu der Traumafolgestörung geführt hat. Damit kommt es faktisch zu einer „Beweislastumkehr„.

Das neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) berücksichtigt endlich auch die Betroffenen, deren traumabezogenen Störungen durch sexualisierte und psychische Gewalt, insbesondere auch im häuslichen Umfeld, verursacht wurden und die bislang keinen Anspruch auf Entschädigung hatten.
Eine enorme Entlastung für Betroffene wird sein, dass die Landesämter bei ihrer Entscheidung über die Anträge auf Anerkennung nach SGB XIV angehalten sind, die „allgemeinen medizinischen Erkenntnisse zu beachten“ (s.o.), wodurch Betroffene nicht mehr die alleine Beweislast tragen müssen.
Bleibt zu hoffen, dass das SGB XIV auch dazu führt, die Bearbeitungszeiten von Anträgen deutlich zu reduzieren und dass zukünftig ein traumasensiblerer Umgang mit den AntragstellerInnen gepflegt wird.

Nachtrag:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in 11/2023 die Broschüre „Das Soziale Entschädigungsrecht – SGB VIX“ mit Informationen über Hilfen und Leistungen herausgegeben. Die Broschüre steht im PDF-Format als Download zur Verfügung.


zum Weiterlesen:
Das neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV, ab 01.01.2024) – WEISSER RING (08/2021)
Soziales Entschädigungsrecht neu geregelt und deutlich verbessert – Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Fragen und Antworten zum Sozialen Entschädigungsrecht – Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Schadensersatz und Entschädigung – Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Entschädigung Betroffener bei psychischer Gewalt mit schweren Folgen – Deutscher Juristinnenbund

Schnelle Hilfe in Traumaambulanzen – Projekt HilfT

OEG | Das Opferentschädigungsgesetz – blog_gestalttherapie_luebeck


2 thoughts on “OEG | Neuregelung: Soziales Entschädigungsrecht SGB XIV”

  1. Ich bin anerkanntes Opfer seid 2010 mit 40% . Meine volle Erwerbsminderungsrente wurde 2021 rückwirkend ab 2006 bewilligt bis zu meiner Altersrente 2034 . Habe letztes Jahr im September Berrufsschadenausgleich beantragt ich habe bis heute immer noch keine Antwort, es ist so anstrengend man ist doch schon genug bestraft damit. Ich wurde im Alter von 12 Jahren über drei Jahre regelmäßig missbraucht.

  2. Vielen Dank für Ihre Schilderung.
    Leider ist es kein Einzelfall, dass AntragstellerInnen jahrelang um Anerkennung ihrer berechtigten Forderungen nach Hilfeleistungen kämpfen müssen.
    Der WEISSE RING hatte in 01/2022 in seinem Magazin „Forum Opferhilfe“ das Thema Entschädigungsrecht aufgegriffen und beschreibt u.a., dass eine Verfahrensdauer von mehreren Jahren üblich ist und die damit verbundenen Belastungen für die Betroffenen, die zu Retraumatisierungen führen können.
    Link zum Magazin: https://weisser-ring.de/system/files/domains/weisser_ring_dev/downloads/forumopferhilfeausgabe01-22web.pdf
    Ich hoffe sehr, dass das neue SG XIV zu einem Umdenken im Umgang mit Betroffenen und zügereren Bearbeitungszeiten führen wird.

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