OEG | Das Opferentschädigungsgesetz

Das deutsche Opferentschädigungsgesetz (OEG) hat zum Ziel, Opfern von Straftaten Hilfen zu ermöglichen, die „die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen solcher Taten“ ausgleichen. Der Staat trägt die Verantwortung dafür, seine BürgerInnen vor rechtwidrigen Angriffen zu schützen. Straftaten lassen sich aber nicht gänzlich verhindern.
Wird eine Person Opfer einer Straftat, ist der Staat in der Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, körperlich-psychische und wirtschaftliche Folgen der Tat(en) zu mildern.
Wer auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat wird und dadurch eine gesundheitliche Schädigung erleidet, kann einen Anspruch auf Opferentschädigung geltend machen.“ (Links s.u.)

Der Leistungskatalog des Opferentschädigungsgesetz beinhaltet:

  • Heil- und Krankenbehandlungen (z.B. Psychotherapie)
  • Hilfsmittel (z.B. Prothesen, Zahnersatz, Rollstuhl)
  • Kosten, die mit der beruflichen Rehabilitation in Zusammenhang stehen
  • Rentenleistungen (abhängig von der Schwere der Schädigungsfolgen und ggfs. vom Einkommen)
  • Fürsorgeleistungen (besondere Hilfen im Einzelfall; z.B. zur Teilhabe am Arbeitsleben, Pflege, ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt, Rehabilitationsmaßnahmen)

Um OEG-Leistungen zu erhalten, muss ein Antrag gestellt werden (Links s.u.).
Der OEG-Antrag wird beim Landesamt für soziale Dienste eingereicht. Zuständig ist seit 2020 das Landesamt am Wohnort der AntragstellerIn. Zuvor war das Amt am Tatort zuständig.
Das Landesamt prüft zunächst auf Zuständigkeit, auf Vollständigkeit des Antrags sowie auf die Anspruchsberechtigung. Ein Anspruch auf Entschädigung wird nur anerkannt, wenn die Gewalttat, die gesundheitliche Schädigung und der Zusammenhang zwischen Tat und Schädigung nachweisbar ist.
Der Antrag auf Anerkennung nach dem Opferentschädigungsgesetz umfasst 8 Seiten.
Abgefragt werden Angaben zur Gewalttat: Tatzeit. Tatort. Tathergang. Wurde Strafanzeige erstattet. Wenn nicht: Gründe (erläutern). Name und Anschrift des/der TäterInnen. Tatzeugen. Ersthelfer.
Informationen und fachkundige Unterstützung bei der Antragstellung bieten Fachberatungsstellen (Links s.u.) sowie auf Sozialrecht spezialisierte RechtsanwältInnen.

Die Kosten für Leistungen nach dem OEG tragen zu 40% der Bund und zu 60% das Bundesland, in dem die Straftat begangen wurde. Werden OEG-Leistungen gewährt, hat die zuständige Versorgungsbehörde das Recht, die Aufwendungen von der/dem bzw. den TäterInnen zurückzufordern. Vorausetzung, um diesen Anspruch geltend machen zu können, ist eine rechtkräftige Verurteilung des bzw. der TäterInnen.
Die zuständigen Behörden haben daher ein berechtigtes Interesse, dass AntragstellerInnen Anzeige erstatten, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird und ein Strafprozess stattfindet, der zur Verurteilung des/der TäterIn(nen) führt.
Das OEG-Verfahren verläuft aber unabhängig von einem Strafverfahren. Eine strafrechtliche Verurteilung des/der TäterInnen ist also keine Voraussetzung für die Anerkenunng nach OEG.

Das OEG-Verfahren ist ein Verwaltungsakt. Das Amt ermittelt, ob die gesetzlichen Vorgaben (s.o) erfüllt werden. Die Vorgaben zu erfüllen, stellt AntragstellerInnen mit Traumafolgestörungen oftmals aber vor unüberwindbare Hürden.
Insbesondere bei Fällen von (früh-)kindlichen Traumatisierungen fehlen meist TatzeugInnen. Sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen im familiären Umfeld geschehen hinter verschlossenen Türen. Gibt es ZeugInnen, sind diese oftmals nicht zu einer Aussage bereit, z.B. aufgrund von familiären oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber dem/n TäterInnen.
Aufgrund von traumabezogenen dissoziativen Störungen ist es Betroffenen oft nur bruchstückhaft oder gar nicht möglich, Angaben zu Tatzeit(en), Tatort(en) und Tathergang(hergängen) zu machen. Peritraumatische Dissoziation als bio-psycho-soziale Überlebensstrategie verhindert die bewusste Wahrnehmung von überwältigenden traumatischen Erlebensqualitäten (Gefühle, Sensorik, Motorik, Kognition) bzw. Teilen davon während der traumatisierenden Situation(en).
Dissoziation (Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung) besteht insbesondere bei komplexen Traumatisierungen auch nach dem Ende der traumatischen Situationen weiter fort und unterbricht den bewussten Zugang zu den mit der/den Tat(en) zusammenhängenden Erinnerungen.
Bei traumabezogenen dissoziativen Störungen können bereits winzige Ähnlichkeiten mit einzelnen Aspekten der traumatischen Erfahrungen vehemente affektive und sensomotorische Intrusionen und Flashbacks auslösen. Das Ausfüllen des Formulars für den OEG-Antrag konfrontiert Betroffene mit den traumatisierenden Ereignissen und kann traumabezogene Reaktionsmuster in einer Intensitität hervorbringen, die es ihnen verunmöglicht, die notwendigen Angaben zu machen.
Nicht selten stehen Betroffene auch unter dem Bann von Schweigegeboten und Drohungen von TäterInnen, die dazu führen, dass relevante Informationen für den OEG-Antrag nicht angegeben werden können.

OEG-Anträge werden selten direkt anerkannt. Meistens erfolgt eine Ablehnung, auf die Betroffene Widerspruch einlegen müssen, der oftmals auch abgelehnt wird. Spätestens wenn Betroffene dann in ein Klageverfahren eintreten, fordert das zuständige Landesamt eine Begutachtung, die aufgrund der Reaktivierung von traumabezogenen Erlebens- und Reaktionsmuster wiederum immens belastend ist bzw. ggfs. auch retraumatisierend wirken kann.
Viele Betroffene verzichten daher auf ihr Recht auf Opferentschädigung und entscheiden sich dagegen, einen OEG-Antrag zu stellen. Vor dem Hintergrund der gravierenden Belastungen, eines zu erwartenden jahrelangen Rechtsstreits und der geringen Aussicht auf Erfolg raten TraumatherapeutInnen und traumapädagogische Beratungsstellen den Betroffenen oftmals von einer Antragstellung ab, um Destabilisierung und Dekompensation von Traumafolgestörungen bei den Betroffenen zu vermeiden.

Der WEISSE RING ist in seinem Magazin „Forum Opferhilfe“ (Ausgabe 1/2022, Seite 4-26) der Frage nachgegangen: Warum kommt die Hilfe aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) bei den Betroffenen nicht an? – Auszüge aus dem Artikel:

Zu wenig Anträge
In Deutschland werden kaum Anträge auf Opferentschädigung gestellt. Im Jahr 2020 gingen nur 17.578 Anträge bei den zuständigen Versorgungsämtern ein. Das entspricht nicht einmal zehn Prozent der 176.672 Gewalttaten, die das Bundeskriminalamt in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst hat. Der Wert liegt seit Jahren auf diesem niedrigen Niveau.
Warum werden „hervorragende“ Leistungen so wenig nachgefragt?
Eine naheliegende Antwort darauf lautet: Die Opfer wissen nicht, dass es ein Gesetz für sie gibt; niemand hat sie nach der Tat darauf aufmerksam gemacht. Das OEG ist in Deutschland weitgehend unbekannt, das zeigen auch die Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des WEISSEN RINGS: 76 Prozent der Befragten hatten noch nie davon gehört.
Zu viele Ablehnungen
Die wenigen Gewaltopfer, die von dem Gesetz wissen und eine Entschädigung beantragen, gehen größten teils leer aus: Kaum mehr als ein Viertel der in Deutschland bearbeiteten Anträge wird genehmigt. Entsprechend hoch sind die Ablehnungsquoten, zwischen 40 und 50 Prozent der Anträge fallen in den Ämtern regelmäßig durch.
Zu hohe Hürden
Der dritte Grund, warum Gewaltopfer ohne die beantragte Hilfe bleiben, sind die OEG Verfahren selbst. Betroffene warten oft jahrelang auf eine Entscheidung, häufig müssen sie vorher aufwändige Beweiserhebungen durchstehen, psychologische Begutachtungen, Widerspruchsverfahren und Gerichtsprozesse, mit unter durch mehrere Instanzen. In dieser Zeit werden sie, denen oft finanzielle Mittel fehlen, mit neuen Kosten konfrontiert, zum Beispiel für anwaltlichen Beistand. Gleichzeitig sehen die Betroffenen sich schweren psychischen Belastungen ausgesetzt; häufig ist die Rede von Retraumatisierungen, die Psychotherapien notwendig machen und somit weitere Kosten verursachen können. Immer wieder geben Opfer auf und ziehen ihre Anträge zurück, oft auf therapeutischen oder ärztlichen Rat.
Wer die Statistiken zum OEG auswertet, wer mit Betroffenen spricht, mit Anwälten, Therapeutinnen, Wissenschaftlern und Opferhelferinnen, kommt zu dem Schluss, dass das OEG ein Gesetz mit einem hervorragenden Leistungskatalog sein mag – dass es bei der Umsetzung aber mächtig knirscht. Schlimmer noch: In vielen Fällen macht das Gesetz Opfer, denen es Hilfe verspricht, erneut zu Opfern.
Kampf. Ohnmacht. Ausgeliefertsein. Machtmissbrauch.
Es sind immer dieselben Worte, die Gewaltopfer benutzen, wenn sie über ihre OEG Verfahren sprechen. Ihr erster Gegner war der Täter oder die Täterin. Ihr zweiter Gegner ist nun das System, in dem sie für ihr Recht
auf Entschädigung kämpfen müssen: die Versorgungsämter, die Sozialgerichte und die von diesen Stellen beauftragten Gutachter. „Für Menschen, die Gewalt erlebt haben, ist jeder Mensch, der ihnen gegenüber sitzt, ein potenzieller Aggressor“, sagt ein Traumatherapeut aus Niedersachsen.
Die für Gewaltopfer in OEG Verfahren wichtigste Frage lautet: Glaubt man mir? Eine Entschädigung erhalten sie nur, wenn drei Dinge nachweisbar sind: die Gewalttat, die gesundheitliche Schädigung und der Zusammenhang zwischen Tat und Schädigung. Die Behörden sollen zwar selbst ermitteln, Antragsteller haben aber eine „Mitwirkungspflicht“. Für die Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Opferaussagen können Ämter die Betroffenen zum Gespräch in die Behörde bitten oder eine psychologische Begutachtung in Auftrag geben.
Bis zur Anerkennung oder Ablehnung dauert es im Schnitt zwischen 12 und 18 Monaten. Das geht aus den Angaben derjenigen Bundesländer hervor, die die Bearbeitungszeit erfassen; einige Länder tun das nicht. Es kann aber auch länger dauern: Die Verfahrensdauer hänge „ganz individuell vom Umfang der Ermittlungen in jedem Einzelfall“ ab, teilt etwa Schleswig Holstein auf Nachfrage der Redaktion mit Juristen berichten, dass Ämter oft abwarten, ob es einen Strafprozess gibt, in dem ein Täter verurteilt wird. „Das ist rechtlich nicht richtig, weil das OEG-Verfahren ein eigenes, vom Strafprozess unabhängiges Verfahren ist“, kritisiert Jürgen Walczak, der seit bald 30 Jahren als Fachanwalt für Sozialrecht im Hamburger Süden arbeitet.
Der Staat lehnt die meisten Anträge ab. Von den wenigen Anträgen, die überhaupt gestellt werden, wird der größte Teil negativ entschieden: Zwischen 2018 und 2020 haben die Behörden bundesweit insgesamt jedes Jahr mehr als 40 Prozent der Anträge abgelehnt. Im selben Zeitraum wurden nur rund 28 Prozent anerkannt.“

Das OEG-Verfahren als Verwaltungsakt dient ganz sachlich betrachtet dem Zweck, den gesetzlichen Vorgaben für die Anerkennung bzw. die Ablehnung eines OEG-Antrags nachzukommen. Die strukurellen Gegenheiten im Zusammenhang mit der Antragstellung und der Bearbeitung von OEG-Anträgen weisen aber auch Ähnlichkeiten mit Situationsfaktoren (Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein) auf, die Betroffene während der Straftat(en) als traumatisch erlebt haben. Betroffene scheinen in der Pflicht zu sein, selbst beweisen zu müssen, dass tatsächlich Straftaten an ihnen begangen wurden und das ebendiese zu den vorhandenen Leiden führen.
Für Menschen, die körperliche oder wirtschaftliche Schäden durch eine Straftat erlitten, aber keine komplexe Traumafolgestörung davongetragen haben, kann das OEG-Verfahren eine enorme Herausforderung sein, die die AntragstellerInnen bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen kann, die aber nicht retraumatisierend wirkt.
AntragstellerInnen, die unter traumabezogenen dissoziativen Störungen leiden, erleben das behördliche Vorgehen oft als einen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, dem sie ohmächtig ausgeliefert sind. Der Verwaltungsakt des OEG-Antragsverfahrens wirkt daher oftmals retraumatisierend.
Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, haben während der Traumatisierungen erlebt, wie es ist, entmenschlicht und als „Sache“ behandelt zu werden. Sie haben erlebt, wie es ist, wenn ihr Wille nicht zählt und ihre Worte keine Bedeutung haben. Sie haben ertragen müssen, dass ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht aberkannt wurde und andere über sie bestimmt haben. Sie haben erfahren, wie es ist, dass sie die Wahrheit sagen und ihnen nicht geglaubt wird. Sie haben erlebt, wie es ist, keine Hilfe zu bekommen, wenn sie darum bitten.
Die strukturellen Rahmenbedingungen eines OEG-Verfahrens weisen insofern Ähnlichkeiten mit erlebten Traumatisierungen auf, als dass Betroffene einer Situation begegnen, in der sie erneut um Anerkennung, Hilfe und in gewisser Weise auch ums Überleben kämpfen müssen. Denn eine OEG-Anerkennung bzw. Ablehnung entscheidet darüber, ob eine geradezu überlebenswichtige Traumatherapie und andere grundlegende Hilfen bezahlt werden.
Gleichzeitig sind AntragstellerInnen in einer Position, die ihnen (gefühlt und/oder tatsächlich) keine bzw. zu wenig Einflussnahme erlaubt.
Überwältigend für Betroffene ist auch der Umfang des OEG-Antrags mit 8 DIN-A4-Seiten. Überwältigend sind auch Anzahl und Art der Fragen. Fragen, die mit den traumatisierenden Erlebnissen konfrontieren und dadurch traumabezogene Symptome hervorbringen, verschärfen und zu Destabilierung bis hin zur Dekompensation führen können.

Der Leistungskatalog des OEG ist sehr umfangreich und bietet Hilfeleistungen, die tatsächlich geeignet sind, auch Folgen von schweren Traumatisierungen zu lindern oder heilen zu lassen.
Zu den OEG-Leistungen gehören Heilbehandlungen, die über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus gehen. Das betrifft Behandlungen, die von der Krankenkasse üblicherweise nicht oder nicht im notwendigen Umfang bezahlt werden. Dazu gehört auch Psychotherapie. Die Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen bedarf eines vielfach höheren Therapiestundenkontingents als gesetzliche Krankenkassen üblicherweise bewilligen. Traumatherapie als OEG-Leistung unterliegt keiner Begrenzung hinsichtlich Stundenumfang und Therapiedauer. Betroffene können daher eine traumatherapeutische Behandlung erhalten, die sich wirklich am Bedarf orientiert.
Psychotherapie als OEG-Leistung beschränkt die Leistungserbringung, anders als es bei den gesetzlichen Krankenkassen der Fall ist, nicht ausschließlich auf approbierte PsychotherapeutInnen. Notwendige psychotherapeutische Qualifikationen vorausgesetzt, ist auch eine traumatherapeutische Behandlung durch HeilpraktikerInnen für Psychotherapie möglich. Da die Wartezeit auf einen Therapieplatz zur Behandlung komplexer traumabezogener Störungen bei kassenzugelassenen PsychotherapeutInnen teilweise Jahre dauern kann, besteht die Möglichkeit, dass Betroffene wesentlich früher dringend erforderliche Behandlungen erhalten können.
Zu den OEG-Leistungen gehören auch Rentenleistungen. (Früh-)kindliche Gewalt- und Bindungstraumatisierungen führen nicht selten zu massiver Verringerung der körperlich-psychischen Belastbarkeit und können Erwerbsminderung oder Erwerbsunfähigkeit verursachen. Ab einem Grad der Schädigung (GdS) von mindestens 25 Prozent als Folge der Gewalt(en) haben Betroffene das Recht auf eine Grundrente, die nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet wird. Für eine gelingende Traumatherapie ist die Herstellung von äußerer Sicherheit absolut notwendig. Finanzielle Sicherheit als ein Faktor für äußere Sicherheit gehört explizit dazu.

Der OEG-Leistungskatalog beinhaltet umfangreiche und nutzbringende Leistungen, die Betroffene darin unterstützen, traumatisierende Erfahrungen bewältigen zu können und (wieder) ein (ausreichend) gutes Leben zu führen. Nur muss der Antrag auf Entschädigung auch anerkannt werden.
Ein Anspruch auf Entschädigung nach OEG wird, wie oben beschrieben, nur anerkannt, wenn die Gewalttat, die gesundheitliche Schädigung und der Zusammenhang zwischen Tat und Schädigung nachweisbar ist. Das OEG setzt für den Nachweis von Tat, Tatfolgen und kausalem Zusammenhang auf Beweisermittlungen, wie es für die Justizbehörden üblich ist.
Aus traumatherapeutischer Sicht ist ein solches Vorgehen nur bedingt notwendig bzw. zielführend, denn eine Schädigung infolge von Traumatisierungen kann nachgewiesen werden, indem eine fachgerechte Diagnostik erfolgt.
Das Diagnosemanual ICD-10 definiert als Ursache der Posttraumatischen Belastungsstörung belastende Ereignisse oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer von katastrophalem Ausmaß mit außergewöhnlicher Bedrohung als ausschlaggebende Kausalfaktoren, ohne die die Störung nicht entstanden wäre.
Der Nachweis der Tat (bzw. das verursachende Ereignis) liegt aus traumatherapeutischer (nicht juristischer) Sicht insofern bereits in der Diagnose, als dass darin der Grund für die Entstehung der Traumafolgestörung definitionsgemäß als „außergewöhnliche Bedrohung, ohne die die Störung nicht entstanden wäre“ beschrieben ist.
Sofern ausgeschlossen werden kann, dass weder eine Naturkatastrophe, noch ein technisches Unglück, das nicht durch eine stafbare Handlung herbeigeführt wurde, ursächlich für die Entstehung der Traumafolgestörung sind, muss die Traumatisierung durch Menschenhand (man made disaster) bewirkt worden sein.
Zu den von Menschenhand gemachten Traumatisierungen gehören z.B. Stalking, Überfälle, Einbrüche, häusliche Gewalt, Mobbing, sexualisierte Gewalt wie z.B. (Online-)Kindesmissbrauch und Vergewaltigung sowie Menschenhandel, Zwangsprostituation, Kinderpornografie, ritueller Missbrauch.
Die „man made disaster“ sind allesamt rechtswidrige Handlungen. Wenn die Straftaten auf dem Gebiet der Bundesrepuplik Deutschland begangen wurden, besteht ein Anspruch auf Entschädigung. „Wer auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat wird und dadurch eine gesundheitliche Schädigung erleidet, kann einen Anspruch auf Opferentschädigung geltend machen.“
Insofern sollte eine sorgfältig gestellte traumabezogene Diagnose durch erfahrene TraumatherapeutInnen eigentlich „Beweis genug“ dafür sein, dass strafbare Gewalttat und traumabezogene Störung in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Der WEISSE RING setzt sich seit mehr als 10 Jahren für eine Reform des Opferentschädigungsgesetz ein und erstellte umfangreiche Forderungskataloge bzgl. des Sozialrechts wie auch für die psychotherapeutische Versorgung von Kriminalitätsopfern.
(Links s.u.)
Zu den sozialrechtlichen Forderungen des WEISSEN RING gehört z.B. die Anerkennung von psychischer Gewalt (z.B. Wohnungseinbruch, Stalking, Erpressung, Bedrohung oder andere psychische Gewalttaten) als OEG-Tatbestand.
Zu den gesundheitspolitischen Forderungen des WEISSEN RING gehört eine bedarfsgrechte psychotherapeutische Versorgung. Die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz bei kassenzugelassenen PsychotherapeutInnen ist auch nach der Reform des Psychotherapie-Richtlinie (2017) unzumutbar lang (Links s.u.). Die Möglichkeit, eine psychotherapeutische Behandlung durch TherapeutInnen ohne Approbation über das Kostenerstattungsverfahren (§ 13 Absatz 3 SGB V) mit gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können, wird zunehmend restriktiv gehandhabt.
Insbesondere in Fällen, in denen heilpraktische Psychotherapeuten ohne Approbation aufgesucht werden, werden alle Anträge abgelehnt.“ […] „Gerade im Bereich Gewalt gegen Frauen haben viele Therapeutinnen schon lange vor dem Psychotherapeutengesetz qualifiziert mit traumatisierten Patientinnen gearbeitet, die Anforderungen der Übergangsregelungen bei Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes aber nicht erfüllt. Hier liegt neben den approbierten Psychotherapeuten ohne Kassensitz ein nennenswertes Potenzial vor, das von gesetzlichen Krankenkassen (im Unterschied zu Berufsgenossenschaften und teils auch Versorgungsverwaltungen) nicht genutzt wird.“ (Gesundheitspolitische Forderungen, S. 2, Link s.u.)
Außerdem wird eine angemessene Berücksichtigung traumatherapeutischer Methoden und Verfahren in den Psychotherapierichtlinien gefordert (S. 4). Zu viele approbierte Psychotherapeutinnen verfügen nicht über traumatherapeutische Zusatzqualifikationen, wodurch die Versorgungslage für traumatisierte Menschen weiter verschärft wird.

Das Opferentschädigungsgesetz ist Segen und Fluch zugleich.
Der OEG-Leistungskatalog beinhaltet außerordentlich hilfreiche Leistungen, die Betroffene wirksam darin unterstützen, traumatisierende Erfahrungen bewältigen und (wieder) ein (hinreichend) gutes Leben führen zu können. Ein gutes Gesetz muss aber auch gut umgesetzt werden können.
Würden Betroffene die OEG-Hilfeleistungen erhalten, die ihnen eigentlich zustehen würden, würde das oftmals den Unterschied zwischen Überleben und Leben bedeuten.


zum Weiterlesen:

Antrag auf Leistungen für Gewaltopfer nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)

Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG)
Informationen zum Antrag auf Leistungen für Gewaltopfer nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)
Opferentschädigungsrecht (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
Landesversorgungsbehörden (Adressen)

Gesundheitspolitische Forderungen des WEISSEN RINGS zur psychotherapeutischen Versorgung von Kriminalitätsopfern (2020)
Sozialrechtliche Forderungen des WEISSEN RINGS zur Verbesserung der Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (2021)

On­line Da­ten­bank für Be­trof­fe­ne von Straf­ta­ten
Hil­fe­te­le­fon Ge­walt ge­gen Frau­en
Landesverband Frauenberatungsstellen Schleswig-Holstein (LFSH)
WEISSER RING

Im Fokus: Opferentschädigung (WEISSER RING)
Agenda bedarfsgerechte Versorgung (Hendrikje ter Balk)
ICD-10 F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung

Psychotherapie-Richtlinie (blog_gestalttherapie_luebeck, 03/2017)
Reform der Psychotherapie-Richtlinie (blog_gestalttherapie_luebeck, 08(2018)


 

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