Trauma und Traumatherapie

Das Wort Traumatherapie ist mittlerweile für viele ein Begriff. Vom Wort her  lässt sich die Bedeutung problemlos ableiten: Psychotherapie zur Bewältigung der seelischen Folgen von traumatischen Ereignissen.
Wozu aber braucht es eine spezielle Therapie zur Behandlung von Trauma-Folgestörungen (posttraumatische Belastungsstörung, PTBS)?

Das Erleben psychischer Traumata und deren Verarbeitung im Gehirn unterscheiden sich von denen anderer belastender Ereignisse.
Das Fachgebiet der  Psychotraumatologie beschäftigt sich mit diesen Vorgängen im Gehirn.

Das Schaubild verdeutlicht
physiologische Reaktionen auf ein Trauma:
(für eine größere Darstellung bitte anklicken)

Stadien der Trauma-Physiologie
(nach Michaela Huber)

Fight or Flight

Die übliche Reaktion auf eine Bedrohung oder Gefahr ist Kampf oder Flucht. Diese reflexartige Reaktion sichert das Überleben des Menschen in Situationen, in denen es buchstäblich um Leben oder Tod gehen kann.

Ist es möglich, sich gegen einen Angreifer erfolgreich zu wehren oder sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen, wird ein solches Erlebnis in aller Regel gut verarbeitet werden können.

Ein Trauma ist ein Ereignis, bei dem weder das eine, noch das andere möglich ist. Wenn weder mit Kampf, noch mit Flucht auf eine (lebens-)gefährliche Bedrohung reagiert werden kann, sichert die Seele das Überleben durch eine „Flucht nach innen“.

Freeze and Fragment

Hierzu wird in einem bestimmten Bereich des Gehirns, der Amygdala (auch Mandelkern genannt), die Situation quasi „eingefroren“.
Anders als bei anderen (belastenden) Lebensereignissen, kann das Gehirn bei einem Trauma das Geschehen nicht als Gesamtheit verarbeiten und als Erinnerung speichern.

Das Trauma wird gewissermaßen in „Einzelteile“  zerlegt.
Das bedeutet, dass einzelne Bilder des Geschehens oder auch Bruchstücke davon, einzelne Gefühlsqualitäten und Sinneseindrücke als Fragmente in der Amygdala „zwischengelagert“ und so vom Tagesbewusstsein abgespalten werden.
Das führt zu den Symptomen von Trauma-Folgestörungen.

Intrusionen

Es tauchen scheinbar unvermittelt Bilder oder Sinnes- und/oder Körperwahrnehmungen des traumatischen Ereignisses auf, die in den wachen Bewusstseinszustand und in den Schlaf „eindringen“.
Bilder, Bruchstücke davon oder einzelne Szenen (Flashbacks) und emotionale bzw. sensorische Trauma-Inhalte (Gefühle, Gerüche, Geräusche, Körperempfindungen) überfluten den Organismus.
Das führt zu einem starken Belastungsgefühl bei dem Betroffenen und kann retraumatisierende Wirkung haben.

Ausgelöst werden Intrusionen durch sogenannte Trigger.
Trigger sind Auslösereize, die aktuell auch eine harmlose Bedeutung haben können, die aber in irgendeiner Weise unbewusst an das Trauma erinnern.

Tritt ein solcher Auslösereiz auf, „feuert“ die Amygdala Teile der „zwischengelagerten“ Trauma-Inhalte in den Organismus.
Für die Betroffenen ist es, als würde das, was damals geschah, jetzt in diesem Moment geschehen. Jedesmal. Immer wieder.

Intrusionen sind keine Erinnerungen, sondern erneutes Durchleben der traumatischen Situation: Man ist wieder ‘voll drin’, hat ‘Zustände’, nicht Reminiszenzen.
(Reddemann u. Sachsse).

Vermeidung und Betäubung

Trigger für Intrusionen können Geräusche oder Gerüche sein, sowie Aktivitäten oder Orte, die mit dem Trauma in Zusammenhang stehen. Eine Geste, ein Wort, ein Gedanke, eine leichte körperliche Berührung, die Wahrnehmung eines Schattens, Dunkelheit und vieles mehr kann triggern.

Um die überflutenden Trauma-Gefühle abzuschalten, wird nach Möglichkeit alles vermieden, was an das Trauma erinnert.

Eine weitere typische Trauma-Folge sind Gefühle von Entfremdung und Betäubtsein (Numbness).

Betroffene erleben sich und die Umwelt oft wie durch eine Art Milchglasscheibe, als sei man irgendwie nicht richtig da und/oder als würde man sich selbst wie von außen beobachten (Dissoziationen).

Es treten Konzentrationsschwierigkeiten auf. Der Kontakt zu anderen Menschen kann als äußerst anstrengend empfunden werden. Betroffene ziehen sich zurück und isolieren sich zunehmend.

Hyperarousal

Durch das Erleben eines Traumas verändert sich das allgemeine Erregungsniveau. Belastungen wirken früher und nachhaltiger und auch kleinere Belastungen führen zu stärkerer Erregung.

Dieses permanent vorhandene, erhöhte Stressniveau führt zu Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit und/oder dem Gefühl, “ständig auf der Hut” zu sein.

Es treten Schlafstörungen auf. Schlafmangel wiederum erhöht die Anfälligkeit für negativen Stress.

Mehr über Ursachen und Symptome von Trauma-Folgestörungen können Sie nachlesen in den Artikeln Trauma | Definition nach ICD-10 und Trauma | Folgen von Gewalt sowie Psychotraumatologie & Traumatherapie | Geschichte
in diesem Blog.

Traumatherapie

Um die spezifischen Symptome (Flashbacks, Dissoziationen, Intrusionen) von Trauma-Folgestörungen positiv zu beeinflussen, wird eine speziell auf diese Störungen abgestimmte Therapie benötigt.
Der Grund hierfür liegt in der oben beschriebenen  besonderen Reaktion des Gehirns auf traumatische Ereignisse.

In einer Traumatherapie wird ganz gezielt an den spezifischen Symptomen und an Trauma-Inhalten gearbeitet.

Für diese Arbeit wurden sehr spezielle traumatherapeutische Methoden entwickelt,  um den „Eiszapfen im Gehirn“ vorsichtig und allmählich „zum Schmelzen“ zu bringen.

Mittels dieser speziellen Methoden wird daran gearbeitet, dass die Betroffenen sich zunehmend mehr von Intrusionen distanzieren können.
Trauma-Inhalte werden so bearbeitet, dass diese integriert werden können und so ihren überwältigenden Schrecken verlieren.

Traumatherapie kennt drei Phasen (Stabilisierung, Trauma-Exposition und Integration).

Die wichtigste Phase mit dem zeitlich größten Umfang ist die Phase der Stabilisierung. Betroffene lernen hier wieder stabileren „Boden unter die Füße“ zu bekommen.

Unter bestimmten Umständen kann bzw. sollte auf die nachfolgenden Traumatherapie-Phasen verzichtet werden. Eine ausreichende Stabilisierung kann Betroffenen bereits ein freieres und leichteres Leben ermöglichen.

Befähigung zur Ausübung von Traumatherapie

TherapeutInnen, die traumatherapeutisch arbeiten möchten, sollten eine qualitativ hochwertige Ausbildung in einem bewährten Psychotherapie-Verfahren bereits absolviert haben.

Die Bezeichnung Traumatherapie ist eine zusätzliche psychotherapeutische Qualifikation. Fortbildungen werden üblicherweise im Baukastensystem zu den verschiedenen Themen der Traumatherapie angeboten.

BeraterInnen von Fachberatungsstellen (u. ä.) können in ihrer Arbeit insofern sehr von entsprechenden Schulungen profitieren, als dass Erleben und Verhalten der Betroffenen verstehbarer wird.
Die gezielte Anwendung bestimmter Techniken aus der Traumatherapie durch gut geschulte BeraterInnen kann auch therapiebegleitend die Stabilisierung der Betroffenen zusätzlich sehr unterstützen.

Tipp für Fachleute:

Sehr gute Fortbildungen in Psychotraumatologie und Traumatherapie bieten u.a. Michaela Huber, Ulrich Sachsse, Ellen Spangenberg und Lydia Hantke an.

16 thoughts on “Trauma und Traumatherapie”

  1. Unfaßbares wird in diesem Artikel gut nachvollziehbar erklärt. Opfer haben ein Recht auf gute Information. Das ist hier gelungen.

      1. Ich freue mich sehr, dass ich dazu beitragen konnte, dass Sie sich weniger verrückt fühlen.
        Das Wort ver-rückt hat in meinem Verständnis auch die Bedeutung von „aus der eigenen Mitte ver-rückt worden zu sein“. (Und genau das passiert bei einem Trauma.)
        Es ist gut, wieder „zu sich selbst zurück-zu-rücken“.

    1. Danke, Dragonfly. Seelisch schwer verletzte Menschen müssen unbedingt die nötigen Fachinformationen erhalten, um verstehen zu lernen, was mit ihnen passiert und warum das passiert. Das ist eine der Grundvoraussetzungen, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, dass Heilung möglich ist.

      1. hallo, leider wurde ich trotz bitten nicht aufgeklärt. ich war wie in einer starre…und habe soooo oft nachgefragt was mit mir los ist….konnte mich auch nicht darauf konzentrieren ein fachbuch zu lesen….also habe ich fachleute gefragt…fazit: keine antwort…..also mein entschluss….ich bin zu doof für dieses leben…..schade dass es sooo wenig aufklärung gibt bzw man so wenig hilfe bekommt. liebe grüße Tami

        1. Die Symptome von Traumafolgestörungen können Gefühle machen wie „ich bin/werde verrückt“, „ich bin zu doof“, „ich bin es nicht wert“.
          Verstehen von Trauma-Folgen/-Symptomen ist wichtig. Es muss erklärbar werden, was da mit einem passiert, warum es sich so anfühlt. Man muss begreifen lernen, dass es eine Ursache gab, für die man nichts kann, und dass diese Ursache Folgen hat, die man erklären, verstehen und verändern kann.
          Für das Verstehen von „Ursache und Wirkung“ braucht man die Hilfe von Fachleuten.
          In der Therapie muss das immer wieder erklärt und besprochen werden. Denn Traumasymptome wie Erstarrung u.a. sorgen dafür, dass Funktionen wie Wahrnehmung und Erinnerung nicht richtig funktionieren. Dadurch gerät eine ganze Weile auch das, was man vielleicht schon weiß, immer mal wieder in Vergessenheit.
          Ein „zu doof“ gibt es daher nicht.

          Ich werde nicht müde, zu sagen:
          Nicht aufgeben. Weiter suchen. Weiter kämpfen. Es gibt fachlich und menschlich gute HelferInnen.
          Es lohnt sich.

  2. Hallo Moon.

    Jetzt geht es meinem Eiszapfen an den Kragen. Er fängt schon an zu schmelzen.

    Auch wen es bei Zeiten schmertzt, ich weiß es lohnt sich.

    Durch den Text sehe ich jetzt noch deutlicher, was mit mir geschehen ist, und woran ich arbeiten muss. Vielen dank.

    Lg ilka

    1. Ich freue mich, zum Verstehen des „Eiszapfens“ beitragen zu können.
      Einen solchen Eiszapfen behutsam schmelzen zu lassen, bringt Wärme (zurück) ins Leben.
      Das „Schmelzwasser“ kann „vertrocknete“ Lebenskraft wieder lebendig werden lassen.
      Schmerz fühlen gehört dabei dazu, um den alten Schmerz allmählich loslassen zu können.
      Es lohnt sich.
      Danke für den schönen Kommentar.

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