Intrusionen sind typische Folgeerscheinungen nach einer Traumatisierung. Plötzlich und scheinbar ohne jeden Grund tauchen Gefühle, Körper- und Sinneswahrnehmungen auf, die die Betroffenen regelrecht überschwemmen. Zu den Intrusionen gehören auch Flashbacks (bildhafte Nachhallerinnerungen) und Alpträume.
Intrusionen sind quälende Zustände, in denen Teile des Traumas wiedererlebt werden, so als würde es jetzt in diesem Augenblick geschehen. Unverarbeitete Trauma-Inhalte dringen in das Bewusstsein ein und lassen die Betroffenen das Grauen von damals ein ums andere Mal wieder und wieder erleben. Die Amygdala „feuert“.
(siehe auch “Trauma und Traumatherapie“ in diesem Blog)
Das wiederholte Durchleben traumatischer Ereignisse mit den damit verbundenen Empfindungen ist nicht nur außerordentlich kräftezehrend. Intrusionen können auch retraumatisieren und das Leiden damit verschlimmern.
Nach einem Trauma treten ebenfalls Zustände von emotionaler Taubheit (Numbness) auf. Es herrscht ein Zustand von Freudlosigkeit und dem Gefühl geistiger Leere. Die Fähigkeit zu emotionaler Nähe geht verloren. Betroffene empfinden sich wie getrennt von der Welt und von anderen. Die Umgebung wird gedämpft oder dumpf wahrgenommen. Es ist, als sein man „wie in Watte gepackt“ und darin gefangen.
Ebenso schwer auszuhalten sind Zustände seelischer Erstarrung (Freeze). Betroffene befinden sich in einer Art Schockstarre und wirken äußerlich emotionslos. Innerlich toben Angst und Panik und erzeugen die Vorstellung, verrückt zu werden. Es entsteht das Gefühl, wie gelähmt zu sein. Gedanken wie „ich muss – aber ich kann nicht“ hämmern gleichzeitig in einer Art Dauerschleife durch den Kopf.
Es ist, als würde man gleichzeitig „Gas und Bremse voll durchdrücken“. Der gesamte Organismus befindet sich in absoluter Alarmbereitschaft. Der Körper reagiert mit schneller, flacher Atmung, hohem Muskeltonus, Immobilität und erhöhter Herzfrequenz.
Freeze kann auch in das genaue Gegenteil (Submit) umschlagen. Submit bedeutet Unterwerfung. Der Organismus „streicht die Segel“ nach dem „Dauer-Bombardement“ mit Stress-Hormonen während des Freeze-Zustandes. Vorherrschende Gefühle sind Hilfslosigkeit und Ohnmacht und ein Empfinden von Lähmung.
Es ist wie ein Fall in ein „schwarzes Loch“, das alle Energie verschlingt. Damit verbunden sind Gedanken wie „alles egal“, „hat sowieso keinen Zweck“, „bin eh der letzte Dreck“ und/oder „bin eigentlich gar nicht mehr richtig da“. Herzfrequenz und Blutdruck sind niedrig und die Atmung ist flach.
Es kann schnelle Wechsel der verschiedenen Zustände geben.
Dissoziationen können als Abwehr- bzw. Bewältigungsmechanismus begriffen werden. Dissoziation bedeutet Abspaltung, Trennung oder auch Aufhebung einer Verbindung. Es findet also eine Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt statt.
Dissoziationen stellen eine Art Notfallfunktion dar bei Erlebnissen bzw. Emotionen, die die Grenzen psychischer Belastbarkeit sprengen. Dissoziationen dienen als seelischer Schutz vor überwältigenden Gefühlen. Der Organismus aktiviert quasi das Programm „Game overloaded“ und „schaltet ab“. Dissoziationen werden umgangssprachlich auch als „wegbeamen“ oder „aussteigen“ bezeichnet.
Bei sehr schweren und über lange Zeit andauernden Traumatisierungen, insbesondere durch sexuellen Missbrauch, in früher Kindheit können Dissoziationen so stark ausgeprägt sein, dass ein überdauerndes Muster an innerer Aufspaltung (DIS) entsteht.
Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) ist auch bekannt als Multiple Persönlichkeit (MPS).
Als Reaktion auf beständig wiederkehrende brutalste und sadistische und i.d.R. sexualisierte Gewalt kommt es zur Ausbildung verschiedener Persönlichkeitsfragmente, die ganz unterschiedliche komplexe Muster auf affektiver, kognitiver und Verhaltensebene repräsentieren.
Erinnerungslücken (Amnesie) können für einzelne Teile traumatischer Erlebnisse bestehen. Besonders bei frühen und langanhaltenden Traumatisierungen in Kindheit und Jugend kann über Jahre oder Jahrzehnte hinweg keinerlei bewusste Erinnerung an das Trauma vorhanden sein. Es können auch ganze Lebensphasen wie ausgelöscht sein.
Depersonalisation bezeichnet eine Störung der Selbstwahrnehmung (sogenannte Entfremdungserlebnisse). Depersonalisation betrifft die Wahrnehmung des eigenen Körper sowie von Gefühlen, Impulsen und Denken. Depersonalisation ist gekennzeichnet durch ein Erleben von Fremdheit und Unwirklichkeit. Betroffene erleben sich selbst wie schattenhaft, losgelöst, entseelt oder wie automatisiert.
Es ist, als würde man neben sich stehen und sich selbst zuschauen. Alltägliche Verrichtungen werden durchgeführt, als wäre man ein Roboter. Erinnerungen an Ereignisse können so erscheinen, als wäre man nicht dabei gewesen.
Zu den Entfremdungserlebnissen gehört auch die Derealisation. Bei der Derealisation betrifft dasselbe Phänomen das Erleben der Umwelt. Die Umgebung wirkt irgendwie fern, künstlich, stumpf oder leblos.
Anders als beim Wahn, merken Betroffene bei Depersonalisation und Derealisation, dass „etwas mit meiner Wahrnehmung nicht stimmt“. Entfremdungserlebnisse können ebenfalls sehr angsteinflößend sein.
Bei posttraumatischen Belastungsstörungen treten häufig Suizidgedanken auf. Oftmals ist das eher Ausdruck des Wunsches, „es“ (und damit sind die Trauma-Folgestörungen gemeint) möge doch bitte endlich aufhören, als dass es sich dabei tatsächlich um Todessehnsucht handelt.
Suizidgedanken sind immer quälend und können sehr erschreckend sein. Suizidgedanken müssen in jedem Fall ernst genommen und in der Therapie muss ein adäquater Umgang damit gefunden werden.
Alle diese Zustände und Phänomene können „gefühlte Ewigkeiten“ bestehen bleiben oder abrupt auftauchen oder einander abwechseln.
Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS/PTDS) können direkt nach dem Trauma auftreten oder Wochen bis Jahre später. Die Intensität der Symptome kann sehr stark variieren (Mono-Trauma, Komplex-Trauma).
Als eine Art Selbsttherapieversuch kann die Vermeidung (Avoidance) all dessen angesehen werden, was solche Zustände auslösen kann (Trigger). Durch das Meiden von Orten und Situationen, die Intrusionen, Flashbacks, Freeze und Co. auslösen können, wird der Aktionsradius immer weiter verringert. Betroffene ziehen sich von der Außenwelt zurück. Menschliche Beziehungen leiden oder werden abgebrochen.
Als „Selbsttherapieversuche“ im weitesten Sinne können auch verschiedene Störungen verstanden werden. Darunter fallen stoffgebundene Süchte (Alkohol-/Drogensucht), suchtartige Verhaltensweisen (Spiel-/Sex-/Beziehungssucht), Essstörungen, Hochrisikoverhalten, u.a.
Jedes selbstschädigende bzw. selbstverletzende Verhalten (SVV) kann benutzt werden, Symptome von Trauma-Folgestörungen zu „überdecken“. Es ist der (fehlgeleitete) Versuch, die Trauma-Folgen zu kompensieren. Solche Bewältigungsstrategien führen zu weiteren Problemen.
Selbstverletzendes Verhalten kann verschiedene Intentionen haben. Unerträgliche Spannungszustände sollen unterbrochen werden. Der Zustand der Empfindungslosigkeit soll aufhören. Wieder Fühlen können. Blut fließen sehen, um sich zu beweisen, noch am Leben zu sein. Selbstbestrafung. U.v.m.
Selbstschädigung bzw. Selbstverletzung können auch zusätzliche Gefühle von Schuld und Scham entstehen lassen, weil man nun sich und seinem Körper selbst Schaden zufügt. Nicht selten wird auf eine ganz ähnliche (symbolische) Art Aggression/Gewalt gegen sich selbst gerichtet, wie der bzw. die Täter es damals taten.
In einer Traumatherapie wird daran gearbeitet, aus diesem Teufelskreis herauszukommen. KlientInnen lernen, Zustände von Intrusionen und Co. zu unterbrechen. Spezielle traumatherapeutische Techniken zur Distanzierung und Reorientierung helfen dabei.
Durch Traumatisierungen kommt das Gefühl für den eigenen Wert des Menschen abhanden. Der Kontakt zu dem inneren Wissen um Bedürfnisse und Fähigkeiten geht verloren.
Ein wesentlicher Bestandteil von Traumatherapie ist daher auch die Arbeit an Ressourcen. KlientInnen bauen allmählich ein Gespür dafür auf, was sie zum heilen brauchen und lernen wieder, auf ihre Wahrnehmung zu vertrauen.
Im weiteren Verlauf einer Traumatherapie wird daran gearbeitet, aus Intrusionen Erinnerungen werden zulassen. Erinnerungen an Ereignisse, die schrecklich waren. Erinnerungen, an die gedacht, über die gesprochen werden kann. Bloß Erinnerungen – ohne von dem destruktiven Anteil der Gefühle überschwemmt zu werden.
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