Im Februar 2016 startete die Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e.V. die Petition für bedarfsgerechte Psychotherapie.
Die Initiative Phoenix fordert die Ergänzung der Psychotherapie-Richtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss um einen Behandlungsrahmen für komplexe Traumafolgestörungen.
Auszüge aus der Petition:
„Menschen, die Behandlung wegen komplexer Traumafolgestörungen benötigen, können überwiegend nicht die psychotherapeutischen Maßnahmen in Anspruch nehmen, die für ihr Störungsbild nötig und angemessen wären, da in der Richtlinie die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die GKV für eine effiziente und auch ökonomisch sinnvolle Behandlung dieser Patientengruppe fehlen […]
Grundsätzlich fehlt in der Psychotherapie-Richtlinie ein Behandlungsrahmen für Menschen mit (komplexen) Traumafolgestörungen und die Zulassung qualifizierter TherapeutInnen zu Finanzierungsmöglichkeiten der GKV. Fast jede/r dritte qualifizierte TherapeutIn muss wegen fehlender Kassenzulassung bis zu 70% der Anfragen für eine Traumatherapie ablehnen, jede/r Fünfte sogar mehr […]“
Nach nur zwei Wochen nach Start der Petition für bedarfsgerechte Psychotherapie im Februar 2016 gab es bereits 1200 Unterstützende, die die Petition gezeichnet hatten.
Seither ist es still geworden um die Petition. Aktuell wird die Petition mit nur rund 3000 Unterschriften unterstützt.
Die desaströse Versorgungslage von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen ist weiterhin unverändert. Therapiesuchende müssen generell ca. 6 Monate auf einen Therapieplatz warten. Die Wartezeit auf einen Therapieplatz zur Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen beträgt oft mehr als ein Jahr. Das zeigt u.a. auch eine Studie der Initiative Phoenix (Link s.u.). Von den TherapeutInnen mit Kassenzulassung müssen 90% bis zu 50 Anfragen für Traumatherapie aus Kapazitätsgründen ablehnen.
Noch verheerender ist der Mangel an Therapieplätzen zur traumatherapeutischen Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung. Betroffene suchen oft jahrelang erfolglos nach einer TherapeutIn, die bereit und in der Lage ist, diese schwerste Form der Traumafolgestörung zu behandeln.
Zu diesem Mangel an Traumatherapieplätzen tragen u.a. auch Richtlinien der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bei, nach denen nur PsychotherapeutInnen mit Approbation, die in einem der drei Richtlinienverfahren ausgebildet sind, Psychotherapie mit der Krankenkasse abrechnen dürfen.
Kosten für eine Therapie bei HeilpraktikerInnen für Psychotherapie werden von gesetzlichen Krankenkassen auch dann nicht übernommen, wenn die HeilpraktikerIn für Psychotherapie eine Grundausbildung in einem Psychotherapieverfahren absolviert hat und über traumatherapeutische Zusatzqualifikationen verfügt.
Wie eine Studie zur ambulanten Versorgungslage komplextraumatisierter Menschen der Initiative Phoenix zeigt (Link s.u.), haben HeilpraktikerInnen für Psychotherapie, die an der Umfrage teilgenommen haben, sowohl Zusatzausbildungen in Traumatherapie als auch mehrjährige Erfahrung in der Behandlung komplexer Traumafolgestörungen.
An der Studie beteiligten sich insgesamt 565 TherapeutInnen:
- 19,9% der TherapeutInnen hat keine Zulassung zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen
- 50,4% davon haben mehr als zehn Jahre Erfahrung in ihrem Beruf, etwa jede/r Vierte (25,4%) mehr als fünf Jahre
- die meisten TherapeutInnen ohne Kassenzulassung sind HeilpraktikerInnen für Psychotherapie (42,2%)
- Zusatzausbildungen für Traumatherapie haben 90,4% der ambulant mit Erwachsenen arbeitenden TherapeutInnen ohne Kassenzulassung erworben
Traumafolgestörungen nach frühen und komplexen Traumatisierungen brauchen eine in Art und Umfang fachgerechte Behandlung, die sich an neueren wissenschaftlichen Studienergebnissen orientieren sollte (Nijenhuis, van der Hart, et al.).
Dazu gehört neben zeitgemäßen traumatherapeutischen Methoden, auch die Anerkennung anderer Psychotherapieverfahren (Gestalttherapie, Körpertherapie, u.a.).
Ebenso ist ein am Bedarf orientiertes Stundenkontingent erforderlich, das ggfs. auch mehrere hundert Therapiestunden betragen kann. Fachverbände für Trauma und Disssoziation wie die International Society for the Study of Dissociation (ISSD) empfehlen für die Behandlung der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) eine langfristige, multi-modale, hochfrequente, störungsspezifische Psychotherapie mit einem durchschnittlichen Gesamt-Stundenumfang von 300-500 Stunden.
Darüber hinaus ist auch die Anerkennung von HeilpraktikerInnen für Psychotherapie zu fordern, sofern diese über inhaltlich wie umfänglich fundierte psychotherapeutische und traumatherapeutische Qualifikationen verfügen, die eine fachgerechte traumatherapeutische Behandlung gewährleisten können.
Traumafolgestörungen verursachten einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden durch Arbeitsunfähigkeiten, Frühverrentungen und ambulante und stationäre Behandlungen.
Nicht störungsspezifische Behandlungsansätze, zu geringe Stundenkontingente, Therapieunterbrechungen aufgrund fehlender Finanzierung, lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz oder die Unmöglichkeit, eine Traumatherapie privat bezahlen zu können, führen zu einer Chronifizierung von Traumafolgestörungen mit einer erheblichen Verschlechterung von Symptomatik und Prognose, wodurch sich auch die entsprechenden Kosten erhöhen.
Durch eine bedarfsgerechte Traumatherapie können Kosten für vermeidbare Arbeitsunfähigkeiten, Frühverrentungen und Klinikaufenthalte deutlich verringert werden. So liegt beispielweise der Tagessatz für ein Bett in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie bei ca. 300 Euro pro Tag. Für die Höhe eines Klinik-Tagessatzes kann die Finanzierung einer ambulanten Traumatherapie mit einer Therapiestunde pro Woche teilweise fast einen Monat lang gewährleistet werden.
Traumatherapie braucht gut ausgebildete TraumatherapeutInnen mit und ohne Approbation und die verlässliche Finanzierung von Therapiestundenkontingenten, die der Behandlung komplexer Traumafolgestörungen gerecht werden.
Hier geht’s zur
Petition für bedarfsgerechte Psychotherapie
Zum Weiterlesen:
Initiative Phoenix | Petition für bedarfsgerechte Psychotherapie (blog_traumatherapie_luebeck)
Ergänzung der Psychotherapie-Richtlinie um einen Behandlungsrahmen für komplexe Traumafolgestörungen (Initiative Phoenix)
Psychotherapeutische Versorgung bei komplexen Traumafolgen durch ambulante TherapeutInnen ohne Kassenzulassung (Initiative Phoenix)
International Society for the Study of Dissociation (ISSD)