Reform der Psychotherapie-Richtlinie

Im April 2017 trat die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie in Kraft.
Ein Jahr danach ziehen erste Stellen Bilanz und kommen zu bestürzenden Ergebnissen.

Die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie sollte zum Ziel haben, einen schnellen Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung zu ermöglichen. Neu eingeführt wurden zusätzliche Leistungen wie z.B. eine bessere telefonische Erreichbarkeit ambulanter Psychotherapiepraxen, psychotherapeutische Sprechstunden, Akutbehandlung, Rezidivprophylaxe und Veränderungen bei der Beantragung von Kurz- und Langzeittherapien. (Details: „Psychotherapie-Richtlinie“)

Die BundesPsychotherapeutenKammer (BPtK) veröffentlichte im April 2018 die Studie „Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie‐Richtlinie: Wartezeiten 2018“, für die approbierte PsychotherapeutInnen mit Kassenzulassung befragt wurden. Laut der BPtK-Studie konnte die psychotherapeutische Sprechstunde die Wartezeiten auf ein Erstgespräch um ca. 7 Wochen verkürzen. Auf einen ersten Termin muss jetzt noch durchschnittlich 6 Wochen gewartet werden, wobei es regional erhebliche Unterschiede. Abhänigig von Bundesland und Region (Großstadt, Land) können Wartezeiten auf den ersten Sprechstundentermin zwischen 4 bis 11 Wochen liegen. Die Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde konnte eine mäßige Verbesserung bewirken, wobei die Wartezeiten insgesamt immer noch zu lang sind.

In der psychotherapeutischen Sprechstunde wird abgeklärt, ob eine psychische Störung nach ICD (Diagnosemanual) vorliegt und eine Richtlinienpsychotherapie erforderlich ist.
Mehr als 60% der befragten PsychotherapeutInnen gab an, dass sie im Anschluss an die Sprechstundentermine keine Akutbehandlung in ihrer Praxis durchführen konnten und berichteten von Schwierigkeiten, PatientInnen für eine Akutbehandlung bzw. eine Kurz- oder Langzeittherapie an andere Praxen weiterzuvermitteln.
Obwohl PsychotherapeutInnen seit der Reform zusätzlich 40 Minuten pro Woche darauf verwenden, ihren PatientInnen bei der Suche nach einer KollegIn, die die Weiterbehandlung übernehmen kann, zu helfen, gelingt die Weitervermittlung in eine Akutbehandlung (62,7%) oder eine Richtlinienpsychotherapie (55,7) oftmals nicht.

Die Wartezeiten auf eine Richtlinienpsychotherapie durch approbierte PsychotherapeutInnen mit Kassensitz mittels „Richtlinien-Psychotherapieverfahren“ (Kurz-/Langzeittherapie) haben sich durchschnittlich um 3,5 Wochen verkürzt, sind aber weiterhin noch viel zu lang.
Von der ersten Anfrage bis zum Beginn einer Therapie vergehen immer noch durchschnittlich 5 Monate. Auch hier unterscheiden sich die Wartezeiten in den einzelnen Bundesländern erheblich (zwischen 3-6 Monaten).

SPIEGEL ONLINE schreibt: „Jeder zweite Psychotherapeut muss therapiebedürftige Patienten nach der Sprechstunde an Kollegen verweisen, weil kein Behandlungsplatz frei ist.“ und zitiert Dietrich Munzin (BPtK-Präsident) in dem Artikel „Psychotherapie – Das Warten hat kein Ende“ (11.04.18): „Die Reform hat keine einzige zusätzliche Behandlungsstunde geschaffen.

Schon vor der Änderung der Psychotherapie-Richtlinie war absehbar, dass die Einführung zusätzlicher Leistungen (telefonische Erreichbarkeit, Sprechstunden, Akutbehandlung) zu Lasten von verfügbaren Psychotherapieplätzen für Kurz- und Langzeittherapien gehen würde.
Hinzu kommen Berichte, dass gesetzliche Krankenkassen seit der Reform übermäßig viele Anträge auf ambulante Psychotherapie im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens ablehnen.
SPIEGEL ONLINE berichtete darüber in dem Artikel „Umstrittene Psychotherapie-Reform „Patienten sind in einer Schleife gefangen“ (11.02.18).

PsychotherapeutInnen ohne Kassensitz können eine ambulante Psychotherapie unter bestimmten Umständen über das  Kostenerstattungsverfahren mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Die antragstellende PatientIn muss nachweisen:

  • dringender Behandlungsbedarf
    (Notwendigkeitsbescheinigung durch einen Facharzt, z.B. Psychiater)
  • mangelnde Verfügbarkeit eines Therapieplatzes
    (mehr als 3 vergebliche Behandlungsanfragen sind aus fachlichen und menschlichen Gründen im Sinne des Gebots einer humanen Krankenbehandlung nicht zumutbar; der Nachweis über die Nichtverfügbarkeit einer kassenzugelassenen TherapeutIn kann erbracht werden, indem Namen und Adressen der kontaktierten KassentherapeutIn, die keinen Termin anbieten können, mit Datum notiert werden.)
  • unzumutbar lange Wartezeit
    (Wartezeiten von mehr als 3 Monaten bei Erwachsenen sind unzumutbar)

Nach Inkrafttreten der Reforn sollen Therapiesuchende von ihrer Krankenkasse die Aussage erhalten haben, dass es das Kostenerstattungsverfahren seit der Reform nicht mehr gäbe (s.u.).
Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) veröffentlichete die Ergebnisse einer Mitgliederumfrage in einer Pressemitteilung (21.02.18) „Kassen blockieren Behandlung“ und bestätigt: „Die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz bestehen weiter und die Lage wird zunehmend verschärft, wenn die Kassen keine Kostenerstattung mehr bewilligen. Wir raten den Betroffenen, mit rechtlichen Schritten dagegen vorzugehen.“

Der NDR beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema in einer Sendung des Fernsehmagazins Panorama 3 „Psychotherapie: Langes Warten auf Hilfe“ (10.04.18) und schreibt: „Die Strukturreform der psychotherapeutischen Versorgung, die zum 1. April 2017 in Kraft getreten ist, soll Patienten den Zugang zur Behandlung erleichtern. Seitdem können Menschen in psychischen Krisen – auch auf Vermittlung von Terminservicestellen – schneller ein Erstgespräch bei einem Therapeuten führen und in akuten Fällen rascher behandelt werden. Bis allerdings eine ambulante Regeltherapie beginnt, vergehen immer noch mehrere Monate. Nach Angaben vieler Psychotherapeuten belegen die neuen Erstgespräche Termine, die sonst für die Behandlung genutzt werden konnten.“
In dem Bericht heißt es weiter: „In Ablehnungsschreiben, die dem NDR vorliegen, wird auch fälschlich behauptet, eine Kostenerstattung sei nicht mehr erlaubt. Dabei hat sich an den Regelungen der Erstattung durch die Reform nichts geändert.“
Interviewt wurde in dem Beitrag u.a. eine Therapiesuchende, die Absagen von 24 ambulanten Psychotherapiepraxen erhalten hatte. Ihr wurde gesagt, dass die Wartezeiten auf einen Therapieplatz aktuell bei eineinhalb Jahren lägen.

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