Geschichte der Gestalttherapie

Fritz und Laura Perls begründen die Gestalttherapie in den 1940er Jahren.
Großen Einfluss auf die Entwicklung der Gestalttherapie hatten auch Paul Goodman, Isodore Fromm, Jim Simkin, Erving und Miriam Polster, Barry Stevens und andere.

Als Sohn jüdischer Eltern wird Fritz Perls 1893 in Berlin geboren. Er studiert Medizin und wird Psychiater und Psychoanalytiker. Durch den Neurologen Kurt Goldstein lernt Perls seine spätere Frau Lore (Laura) kennen. Fritz und Laura heiraten 1930. Als Psychoanalytikerin und Psychologin beschäftigt sich Laura Perls schon zu dieser Zeit mit der Gestaltpsychologie.
1933 fliehen Fritz und Laura Perls vor den Nationalsozialisten nach Afrika. In Johannesburg betreiben Fritz und Laura Perls eine Praxis für Psychoanalyse, grenzen sich aber zunehmend mehr von der Psychoanalyse ab.

Fritz und Laura Perls lehnen das herrschende Wertesystem von Gut/Böse und Richtig/Falsch ab und sie entwickeln ein eigenes Konzept. Perls nimmt Abstand von der psychoanalytischen Deutung. Er betrachtet die Deutung als autoritäres Instrument des Analytikers, das die KlientIn in eine passive und untergeordnete Rolle zwängt. Er entwickelt die Vorstellung: Erfahrung ist der Weg zu Lebendigkeit und damit zur Heilung neurotischer Strukturen. Nach Ansicht Perls entsteht Krankheit durch Vermeidung (von Affekten). „Offene Gestalten“ (unbewältigte Erlebnisse), auch „unfinished business“ genannt, behindern die weitere Entwicklung eines Menschen. Bei starker Ausprägung dieser Hemmung (Blockade) verliert der Mensch den Kontakt zu sich selbst und zu anderen. Gestalttherapie fördert diesen Kontakt und setzt damit die Selbstregulation wieder in Gang. (Links s.u.)

Fritz und Laura Perls beginnen mit der gemeinsamen Arbeit an einem Buch. 1941 erscheint das Buch „Das Ich, der Hunger und die Aggression“, das die Entstehung der Gestalttherapie markiert. 1946 übersiedeln Fritz und Lore Perls in die USA.
Zusammen mit Paul Goodman und Ralph Hefferline veröffentlicht Perls 1950 das Buch „Gestalt Therapy“, das zum Basiswerk der Gestalttherapie wird.
1952 und 1953/54 werden die ersten Gestalt-Institute New York Institut for Gestalt Therapy und Institut of Cleveland gegründet. 1964 entsteht das Institut Esalen (Big Sur, Kalifornien) und wird zu einem Praxiszentrum der humanistischen Psychologie bzw. der Human-Potential-Bewegung.

Fritz Perls trennt sich von seiner Frau Laura, zieht an die Westküste der USA und entwickelt einen eher harten und oft konfrontativen „Westküstenstil“ der Gestalttherapie.
Laura geht an die Ostküste der USA und entwickelt dort einen gemäßigteren „Ostküstenstil“, der auch andere Methoden integriert. Ihr Gestalttherapie-Stil steht für liebevolle Aufmerksamkeit, Wohlwollen, Einfühlungsvermögen und eine sehr bodenständige Arbeit bei der Unterstützung der KlientInnen.
Miriam und Erving Polster sind beteiligt am Aufbau der „Clevelander-Schule“. Große Bedeutung haben hier das Awareness-Konzept, das Achten auf Körper- und Wertgrenzen und Behutsamkeit im Umgang mit KlientInnen.
Barry Stevens legte ihren Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung der Gestalttherapie verstärkt auf Körper-Bewusstheit. Fritz Perls nannte Stevens „a natural-born therapist“. Ihr bekanntestes Buch trägt den Titel „Don’t Push The River“.
Einfluss auf die weitere Entwicklung der Gestalttherapie hatten auch Wilhelm Reich (Begründer der Körperpsychotherapie), Jacob Levy Moreno (Psychodrama) und andere.
Fritz Perls stirbt 1970 in Chicago.

In Europa verbreitet sich die Gestalttherapie ab etwa Ende der 1960er Jahre. Es entstehen Ausbildungskollektive mit unterschiedlichen Ausrichtungen.
Eines davon war die International Gestalt Training Community (IGTC). Von Sidney (Sid) Gershenson (Tuscon, Arizona) gegründet, wurde das IGTC später zum Gestalttherapie-Ausbildungsinstitut Interdisziplinäres Gestalt Training (IGT).
Das IGT zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass Gestalttherapie nicht nur gelehrt, sondern dass Gestalt gelebt wird. Das Ausbildungskonzept des IGT spiegelt das erfahrungsorientierte Wesen von Gestalt wider:
„Wir lehren einen ganzheitlich integrativen Gestalttherapieansatz. … Wir fördern kreatives Lernen und Leben in einem ganzheitlichen Kontext. Dazu gehört, dass die Ausbildungsgruppen eigenverantwortliche, sich selbst verwaltende und organisierende Kollektive sind. …  Dies ist ein Weg offene nicht hierarchische Kommunikation miteinander zu ermöglichen und entspricht dem dialogischen Prinzip der Gestalttherapie.“

Anders als in Österreich und der Schweiz ist die Gestalttherapie in Deutschland kein abrechenbares Therapieverfahren. Das hat u.a. auch politische Gründe und sagt nicht zwingend etwas über die Wirksamkeit aus. Nach Studien (Klaus Grawe) ist die Wirksamkeit der Gestalttherapie anderen Therapieformen ähnlich (Ausnahme Verhaltenstherapie).

zum Weiterlesen:

Gestalttherapie | Kontaktphasen – blog-gestalttherapie-luebeck.de

Gestalttherapie | Kontaktstörungen – blog-gestalttherapie-luebeck.de

Gestalttherapie | Gestalt-Konzepte – blog-gestalttherapie-luebeck.de

Gestalttherapie | Zitate – blog-gestalttherapie-luebeck.de

Meine Gestalt – blog-gestalttherapie-luebeck.de

4 thoughts on “Geschichte der Gestalttherapie”

  1. Schöner Artikel. Für mich (als „Patientin“) eine der interessantesten Richtungen, dich ich entdeckt habe. Auch, wenn ich die „Gestalten“ nie wirklich begriffen habe….
    Daher: Ich würde es super finden, wenn Sie auch mal einen Artikel über die Gestalten schreiben würden 🙂
    Und zu den „politischen Gründen“: ist das das Geld? Oder eine (Psychotherapeuten-)Lobby, die die Zulassung in Deutschland verhindert oder ganz was anderes?
    LG, Antje

    1. Danke für die Anregung, einen Artikel über „Gestalten“ zu schreiben.
      In „Gestaltherapie | Gestalt-Konzepte“ in diesem Blog finden Sie etwas über „offene und geschlossene Gestalten“.
      Die „Gestalten“ verdienen es aber tatsächlich, etwas ausführlicher betrachtet zu werden.

      In Deutschland wird sehr an den sogenannten Richtlinienverfahren festgehalten.
      Dazu gehören tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Psychoanalyse. Nur ärztliche bzw. psychologische PsychotherapeutInnen, die in einem dieser Verfahren ausgebildet sind, können mit den Kassen abrechnen.

      Bestrebungen von Berufsverbänden, etc., andere Psychotherapieverfahren als Leistung der Krankenkassen anerkennen zu lassen, stoßen auf Widerstand.

      In anderen Ländern ist Gestalttherapie Kassenleistung.
      In Österreich und der Schweiz wird mit Gestalttherapie im ambulanten und im klinischen Setting sehr erfolgreich gearbeitet.

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